Seit 15 Jahren arbeite ich auf meinem Hof in Ritzerau (Schleswig-Holstein) hauptberuflich mit Pferden. Ich bilde Pferde aus, vom Natural Horsemanship bis hin zur klassisch modernen Reitkunst nach Monika Amelsberg.
Viele dieser Ausbildungspferde kommen zu mir mit Problemen, die häufig durch falsches Handling verursacht wurden. Grobe Fehler am Anfang der Ausbildung eines Pferdes sind nicht so leicht zu korrigieren und begleiten das Pferd oft ein Leben lang. Auch meine eigenen Pferde waren vorbelastet zu mir gekommen.
Deshalb wuchs in mir der Wunsch nach einem jungen und ungeprägtem Pferd, mit gutem Charakter. Mein Traum war ein Lusitanohengst.
Ich höre sie förmlich, die kritischen Stimmen: Warum muss es ausgerechnet ein Hengst sein? Ein netter Wallach täte es doch auch. Eine durchaus berechtigte Frage. Seit vielen Jahren habe ich Erfahrungen im Umgang mit Hengsten gesammelt. Die Ausstrahlung eines Hengstes, aber auch ihr unbestechlicher Charakter üben auf mich eine große Faszination aus. In mir reifte in der letzten Zeit der Wunsch, einen jungen Hengst bis zur hohen Schule auszubilden und dabei meine im Laufe der Jahre gesammelten Erfahrungen anzuwenden.
Auf meinem Hof habe ich die Grundvoraussetzungen geschaffen, die notwendig sind, um einem Hengst ein glückliches Leben zu bieten.
Über eine Empfehlung kam ich an Sonja Niedermaier. Sonja weiß sehr viel über Lusitanos, kennt die großen Züchter persönlich und hat sich darauf spezialisiert, Menschen bei ihrer Suche nach ihrem Traumpferd behilflich zu sein. Gemeinsam mit ihr und einer Freundin reiste ich Ende November 2017 nach Portugal. Es wurde der Urlaub meines Lebens. Wir drei verstanden uns prima und Portugal im November ist durchaus eine Reise wert. Die Pferde, die wir uns anschauten waren alle wunderschön, viele durfte ich reiten, jedoch gefunkt hatte es noch nicht.
Bis ich dann ihn traf! JUSTO, ein 3 ½ - jähriger Braunfalbe (braun, mit dunklem Behang und Aalstrich), noch zartgliedrig, aber mit toller Ausstrahlung. Er war erst seit kurzer Zeit unter dem Sattel. Ich ritt ihn Probe und fühlte mich sofort wohl und sicher auf ihm. Meine Entscheidung war gefallen.
Zurück in Deutschland fieberte ich der Ankunft von JUSTO, die für Mitte Dezember geplant war, entgegen. Ein Wintereinbruch in ganz Europa begleitete die Wartezeit, würde der Transport trotzdem durchgeführt? Dann kam die ersehnte Nachricht: Die Reise ging los! 3 Tage waren geplant für die Reise nach Schleswig-Holstein, 3 Tage voller Spannung und Vorfreude!
Was für ein unvergesslicher Moment, als der Transporter aus Portugal auf den Hof fuhr. Der portugiesische Fahrer führte Justo in sein neues Zuhause.
Mein Traumpferd war angekommen.
In den ersten Wochen gewöhnte Justo sich an seine neue Umgebung, seine Stallkollegen und die täglichen Abläufe. Ich begann gewissermaßen vom ersten Tag an mit der Ausbildung, indem ich z.B. beim Führen dafür sorgte, dass er nicht drängelte oder versuchte, mich zu überholen. Bei Widersetzlichkeit steigerte ich den Druck sanft, bis hin zu einer sehr deutlichen „Ansage“. Ich achtete darauf, den Druck sofort wegzunehmen, wenn er mir die richtige „Antwort“ gab.
Justos Zurückhaltung schwand. Die ungewohnte Freiheit seiner Laufbox, der Paddock und bald auch die große Wiese tagsüber, dazu meine Zuwendung, machten ihn zusehend munter und aufgeschlossen. Sein Selbstbewusstsein wuchs und damit auch sein Widerspruchsgeist.
Ich lernte ihn immer besser kennen und einzuschätzen: Ein mutiges und unerschrockenes Pferd, aber auch bemerkenswert stur, wenn es um seine Interessen ging. Wenn es ihm einfiel, heute noch nicht zurück von der Wiese oder morgen nicht hin zu wollen, dann fing er an zu steigen oder sich auch mal wie ein trotziges Kleinkind einfach auf den Boden zu schmeißen...ich lernte, mir die Zeit zu nehmen, die es brauchte um ihn zur Mitarbeit zu gewinnen. Dazu gehörte, dass ich immer verlässlich reagieren musste und immer mit Ruhe und Gelassenheit, was manchmal schwer war.
Ich wollte ihn davon überzeugen, meine Führung anzunehmen, mir gegenüber respektvoll zu sein und mir trotzdem zu vertrauen. Mit brachialer Gewalt verdient man sich den Respekt nicht. Und statt zu erklären zu kämpfen, ist der falsche Weg.
Aber so wie der stete Tropfen den Stein höhlt, so festigte ich durch 100-fache, wenn nicht 1000-fache Wiederholungen kleiner Gehorsamsübungen meine Führungsposition.
Justo ist jetzt 2 Jahre bei mir. Ich biete ihm viel Abwechslung in seiner Ausbildung. Dazu gehört die Freiarbeit, die sich ganz wunderbar dafür eignet, an Respekt und Vertrauen zu arbeiten.
Für den Muskelaufbau arbeite ich ihn am Kappzaum, an der Hand und natürlich im Sattel. Er läuft mittlerweile sehr schön in Anlehnung und dank der Gymnastik wird er zusehends beweglicher und kraftvoller. Auf der Gymnastizierung liegt zur Zeit noch mein Hauptaugenmerk. Es geht noch nicht so sehr um Lektionen, als vielmehr um Dehnungshaltung in jeder Gangart mit Innen- und Außenstellung, um seine Rückenmuskulatur zu stärken und eine aktive und kraftvolle Hinterhand zu bekommen.
Wir sind auch schon etliche Male unterwegs gewesen, denn es ist mir wichtig, dass er beizeiten lernt, mich, egal wo wir sind und egal welchen Reizen er ausgesetzt ist, bedingungslos als „Alphatier“ zu akzeptieren. So bin ich z.B. mehrmals mit ihm nach Kassel zu Thomas Günther gefahren, um an meiner Freiarbeit zu feilen. Und genauso oft zu Monika Amelsberg. Von Monika bin ich reiterlich ausgebildet worden, bis hin zur Hohen Schule. Sie steht mir auch weiterhin als Freundin und Korrektiv zur Seite.
Ich glaube es gibt nichts, was mir mehr Spaß macht, als einen jungen Hengst nach einem sinnvollen Konzept auszubilden. Bis Justo Hohe Schule geht, wird es noch Zeit brauchen, aber genau die gebe ich ihm. Die Zeit, die er braucht, um sein gesamtes Potential zu entfalten.
Irmela Dreller
Klassische Dressur & Natural Horsemanship